Hase, Mäcki, Matze und die anderen

DDR-Fußball taugt heute nicht mal mehr als Antithese. Er ist im Orkus der Geschichte verschwunden. Spurlos. So zumindest scheint es.

Jetzt ist bei Delius Klasing ein Buch erschienen, das zumindest für den Moment die Erinnerungen zurückholt. Die Autoren Christian und Martin Henkel porträtieren 77 Protagonisten des ostdeutschen Fußballs, in der Mehrzahl Spieler, aber auch Trainer und Schiedsrichter. Die Stars des DDR-Fussballs lautet der so nüchterne, wie zutreffende Titel des Bandes.

Zu jedem Porträtierten gibt es einen vergleichsweise kurzen, aber gehaltvollen und spannenden Text, der die charakteristischen Merkmale der jeweiligen Karriere einzufangen sucht: von großen Siegen ist zu lesen, wie von deprimierenden Niederlagen. Auch Abgründe werden dem Leser nicht erspart, so in einem Porträt des hochbegabten Schiedsrichters Adolf Prokop (87 internationale Spiele), der als Mitarbeiter der Staatssicherheit etliche Spiele im Auftrag seines Arbeitgebers manipulierte und aus Angst vor Tumulten gesperrt werden musste.

Jeder Minibiografie ist ein Foto beigefügt – und diese Fotos machen die vielleicht größte Stärke des Buches aus. Sie sind in der Regel eher unspektakulär, korrespondieren aber vorzüglich mit den Texten. Diese gelungene Symbiose von Bild und Artikel kann man gar nicht genug loben.

Ein schönes Beispiel dafür, findet sich bei Rüdiger Schnuphase, der für Erfurt und Jena spielte und bis heute der einzige deutsche Spieler ist, dem es gelang, als Verteidiger Torschützenkönig der höchsten Spielklasse zu werden. Über ihn ist zu lesen: Seine Furchtlosigkeit wurde Schnuphase, der auf nahezu keinem Foto lächelt und dessen melancholischer Gesichtsausdruckhäufig an den eines Boxers mit Außenseiterchancen erinnerte, schließlich zum Verhängnis … (Anmerkung: Schnuphase verletzte sich bei einem Spiel gegen Sparta Rotterdam schwer, woraufhin er seinen Stammplatz in der Nationalmannschaft verlor.)

Wie treffend diese physiognomische Beschreibung ist, kann noch heute auf der Haupttribüne des Erfurter Stadions besichtigt werden, wo Rüdiger Schnuphase bei den Spielen des RWE des Öfteren zu Gast ist.

Das Buch ist in Kapitel unterteilt, die beispielsweise Strategen, Tormaschinen, Abwehrrecken, aber auch Wende-Stars und Staatsflüchtlinge heißen. Am Ende stehen die Besten 12 aus 40 Jahren. Wie quasi alles im Fußball ist diese Kategorisierung, sowie die Auswahl der Spieler, Trainer und Schiedsrichter diskutabel. Als Erfurter vermisst man den großartigen Torwart Horst Weigang, immerhin DDR-Fußballer des Jahres 1965 und Nationalspieler, oder seinen Nachfolger im RWE-Gehäuse, den grandiosen Exzentriker Wolfgang Benkert. Allerdings wird dies allen so gehen, die in der DDR Anhänger eines Oberliga-Vereins waren: Irgendeinen vermisst man immer.

Es ist den Autoren kein Vorwurf zu machen, dass viele Spieler des 1. FC Magdeburg, von Dynamo Dresden, Carl Zeiss Jena, oder des BFC im Buch vertreten sind. Das waren nun einmal die dominierenden Vereine des Ostens; bei ihnen spielte die Mehrzahl der besten Fußballer. Die Auswahl beschränkt sich allerdings keineswegs auf die 60iger bis 80iger Jahre. Es spricht für die Akribie der Verfasser, dass sie das mühselige Eintauchen in die Archive nicht scheuten. So finden sich im Buch ebenfalls die herausragenden Fußballer der Nachkriegszeit, die wie Helmut Nordhaus (in Erfurt) und Dieter Erler (in Chemnitz) ihre Vereine zu Meisterschaften und frühem Ruhm führten.

Der Band erzählt die Geschichten der Helden des DDR-Fußballs. Es ist die Reise in eine versunkene Welt. Durchaus nostalgisch, allerdings ohne Larmoyanz und völlig frei von Ostalgie. Die beiden Autoren überlassen es dem Leser, die 77 Kurzbiografien in ein Gesamtbild zu fügen.

Wir haben mit diesem schönen Buch, was es bisher nicht gab: eine Hall of Fame des Ostfußballs, die manche mit Wehmut, andere mit glänzenden Augen, aber alle mit Gewinn betrachten werden.

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