RWE vs. SV Wehen Wiesbaden 2:2 / Stabil auf der Intensivstation

Vom Punkt nicht zu stoppen: Nils Pfingsten-Reddig © www.fototifosi.de

Alois Schwartz hatte vor dem Spiel gewarnt. Wehen Wiesbaden sei fußballerisch besser als Rostock und gehöre eigentlich in gehobenere Regionen der Tabelle. Diese Einschätzung des RWE-Cheftrainers erwies sich als richtig. Mir ist es ein Rätsel, wie eine technisch so talentierte und taktisch reife Mannschaft sich Sorgen um den Ligaverbleib machen muss. Ist aber nur eine von vielen Fragen rund um diese seltsame 3. Liga. Und an dieser Stelle naturgemäß nicht die wichtigste.

Wieso die Fans des FC Rot-Weiß Erfurt um den Erhalt des Profifußballs in ihrer Stadt bangen müssen, ist vergleichsweise einfach zu beantworten. Das Spiel am vergangenen Samstag bot besten Anschauungsunterricht. Ohne Zweifel, Alois Schwartz ist es gelungen, die Mannschaft zu stabilisieren. Die Frage ist jetzt, ob das dabei erreichte Niveau ausreichen wird, die Klasse zu halten. Sagen wir so: es könnte eng werden. Schwartz hat – sieht man von Änderungen aufgrund von Sperren und Verletzungen ab – seine Mannschaft und sein System gefunden. Der RWE hat in den letzten 5 Spielen nicht verloren und 9 Punkte geholt. Da die anderen Vereine in ähnlich prekärer Lage die unschöne und enervierende Angewohnheit haben ebenfalls Punkte zu sammeln, befinden wir uns aber wieder auf einem Abstiegsplatz. Die Leistung der Mannschaft ist fragil. Jede Substanzeinbuße bedeutet Punktverluste. Oumaris Ausfall war am Samstag nicht zu kompensieren. Weder defensiv noch offensiv. Seine beiden Innenverteidiger-Kollegen koproduzierten einträchtig den Elfmeter für Wiesbaden zum 2:2-Endstand. Erst Möckel mit einem Pass direkt aus der Hölle, dann Kopilas mit einem Zweikampfverhalten selben Ursprungs. Ich weiß, es ist nicht lange her, da hatte ich dem Duo Morabit und Drexler noch die Qualität einer RWE-Lebensversicherung zugesprochen – leider waren ihre Leistungen in den letzten beiden Heimspielen nicht durchweg geeignet, diese optimistische Prognose besonders plausibel erscheinen zu lassen.

Trotzdem, Möckel, Kopilas, Drexler und Morabit sind ganz eindeutig nicht das Problem der Mannschaft. Sie machen Fehler und/oder leisten sich schwächere Spiele, aber im Grunde gehören alle unbestritten zu den Leistungsträgern des Teams.

Es gibt allerdings zwei Positionen, bei denen ich den Langmut und das Zueinander-Finden-Lassen von Alois Schwartz nicht verstehe. Die eine betrifft die rechte Seite der Viererkette, momentan konstant besetzt mit Phil Ofosu-Ayeh. Defensiv werden uns derzeit die Schwächen auf dieser Seite von jedem Gegner um die Ohren gehauen. So auch am Samstag bei der Führung des SVWW, als sich Ofosu einen schlimmen Stellungsfehler leistete und wirkungslos im Niemandsland herumstand, als die torvorbereitende Eingabe über seine Seite erfolgte. Offensiv ist die mangelnde Passgenauigkeit unseres Rechtsverteidigers bereits in der vergangenen Saison ein steter Quell meiner Frustration gewesen. Daran hat sich leider nichts zum Besseren verändert. Warum, frage ich mich, sitzt beispielsweise Maik Baumgarten nur auf der Bank. Klar, die Position wäre für ihn ungewohnt, aber der Junge ist in der Lage mit neuen Situationen gut und schnell fertig zu werden. Und, mal ehrlich, so gewaltig ist das Risiko einer Verschlechterung nicht.

Die zweite eklatante Schwachstelle ist für mich Mijo Tunjic im Sturmzentrum. Es ist unstrittig: er läuft viel, er kämpft, gibt nie auf, wirft sich in jeden Ball. Ja, ja, ja. Aber, ein Zuspiel auf ihn bedeutet oft auch das abrupte Ende eines Erfurter Angriffs. Worin seine Fähigkeiten liegen, kann man erkennen, sobald der Ball im Strafraum ist – mit jeder Faser seines Körpers versucht er das Runde irgendwie ins Eckige zu bugsieren. In solchen Situationen ist er gefährlich. Dies jedoch ist ein Talent, dass beim RWE momentan vergeudet ist. Die Mannschaft erarbeitet sich viel zu wenige solcher Torbelagerungen. Vor allem eine Folge davon, dass das Flügelspiel nicht forciert wird (oder aufgrund mangelnder Qualität nicht forciert werden kann). Wenn aus dem Spiel heraus Gefahr für das gegnerische Tor entsteht, dann meist mit schnellen Kombinationen, die über die Mitte oder die Halbräume vorgetragen werden. Das aber ist nicht das Spiel des Mijo Tunjic und wird es vermutlich nie werden. Weshalb er bei diesen Gelegenheiten oft wie ein Fremdkörper agiert. Alternativen? Wenige! Dazu alle verbunden mit mehr oder weniger großen Umbauten in der Mannschaft. Hier muss in der anstehenden Transferperiode gehandelt werden. Ein Stürmer vom Typ des Wiesbadener Wohlfarth sollte eigentlich zu bekommen sein, der erzielt zwar auch nicht in jedem Spiel fünf Tore, ist aber in der Lage, Bälle sicher zu behaupten und auf nachrückende Spieler zu verteilen.

Bilanz: Spielerisch war der SV Wehen Wiesbaden die klar bessere Mannschaft. Der RWE konnte mit den vorhandenen Kontergelegenheiten wenig anfangen, kämpferisch wusste die Mannschaft von Alois Schwartz allerdings erneut zu überzeugen. Pressing und Gegenpressing funktionierten zufriedenstellend. Wurde der Ball dem Gegner abgenommen, fehlte es jedoch meist an allem, was den Aufwand eines Pressings rechtfertigt: schnelles, entschlossenes Umkehrspiel, verbunden mit hoher Passgenauigkeit bei gut abgestimmten Laufwegen. Zwei Standardtore mussten her, sonst hätten wir das Spiel verloren. Auf der anderen Seite konnte der SVWW mit seinem spielerischen Potenzial verblüffend wenig anfangen. Vermutlich der Hauptgrund, warum eines der fußballerisch besten Teams der Liga so weit im Süden der Tabelle schmort.

Und wenn ich nicht mehr lachen kann, dann schau‘ ich mir den Nachwuchs an. Sehr frei nach Erich Kästner. Es war schon in der letzten Saison ein probates Mittel – nach dürftigen Leistungen der Profis, ein Spiel der A-Junioren besuchen. Gestern gewann die Mannschaft von Christian Preußer 5:1 gegen den VfL Osnabrück. Der VfL ist Tabellenvierter und hatte bisher in 12 Ligaspielen ganze 11 Tore zugelassen. Spitzenwert in der Nordost-Staffel der Bundesliga. Gestern kamen fünf dazu. Bei eisigen Temperaturen sahen die Zuschauer eine kompakte, spielstarke Erfurter Mannschaft. Felix Robrecht, der im zentralen Mittelfeld defensiv wie offensiv den Takt vorgab, sowie Jonas Nietfeld ragten aus dem Kollektiv noch heraus. Nietfeld steht jetzt bei 9 Saisontoren und 15 Scorerpunkten. Damit führt er beide Liga-Statistiken an.

Was mir ungemein imponiert: Preußer gelingt es wieder, eine Mannschaft sukzessive zu verbessern. Im Vergleich zu den ersten Saisonspielen ist das fast komplett neu zusammengestellte Team kaum wieder zu erkennen. Selbst bei Pressing des Gegners wird versucht, die Situation spielerisch aufzulösen. Pressingresistenz nennen das die Taktikgurus. Die Mannschaft musste die letzte halbe Stunde in Unterzahl agieren. Der VfL machte Druck. Aber selbst während dieser Phase sah man kaum hektisch nach vorn gedroschene lange Bälle.

Ich weiß natürlich, dass man die 3.Liga und die A-Jugend-Bundesliga nur sehr behutsam miteinander vergleichen sollte. Doch genau dieser Mangel an Entwicklung zum fußballerisch Besseren (innerhalb einer Saison wohlgemerkt), nervt mich seit Jahren am Profiteam des RWE. Das war unter Emmerling nicht zu beobachten und daran hat sich leider wenig geändert. Nur, dass der Thrill diesmal existenzbedrohend ist.

7 comments

  1. Ich wünschte unsere hiesigen Printmedien würden in so einer Qualität berichten…

  2. Vielen Dank. Aber das würde mich vermutlich Leser kosten 😉

  3. Super geschrieben und mal wieder voll auf den Punkt gebracht.

  4. Wie immer gute Arbeit mein Freund !

  5. @Viva Immer wieder gern, auch wenn ich mich zur Zeit nach den taktischen Luxusproblemchen der letzten Saison sehne.

  6. Sebastian Hoberück hat weiter oben alles auf den Punkt gebracht ! Solche Knallköppe ~ wenn ich den schwülen Friseur heute wieder im Thüringen Journal gesehen hab, da wáchst dir ne Feder ….

  7. wieder fachlich und rethorisch ein genuss

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