Der RWE im August 2012: Zum Stand der Dinge

Alle wollen in Osnabrück eine Verbesserung gesehen haben. Nun, gemessen am Größten Anzunehmenden Scheißspiel (GAS) der bisherigen Saison (in Halle) war es wohl eine. Aber dieser fußballerische Offenbarungseid sollte wohl kaum als Maßstab dienen. Wenn es so wie in Halle weitergegangen wäre, hätte man die Mannschaft gleich vom Spielbetrieb abmelden können.

Momentan liegt das Angriffsspiel in Trümmern

Im Vergleich zum Auftritt gegen die VfB-Reserve vermag ich allerdings nicht wirklich einen Fortschritt zu erkennen. Es fällt auf, dass in es den letzten beiden Auswärtsspielen keine zwingende Torchance für den RWE zu notieren gab. Das war in Wiesbaden noch anders. Dafür gibt es Gründe. Emmerling stellt schon nominell defensiver auf (mit dem Abwehrspieler Ofosu-Ayeh in der Mittelfeld-Viererkette) und die taktischen Vorgaben an die Mannschaft korrespondieren mit der Formation. Alles ist in erster Linie darauf ausgerichtet, Gegentore zu vermeiden: Wie Dominick Drexler in der gestrigen TA völlig richtig analysierte, beteiligen sich zu wenige Spieler an den Offensivaktionen. Er sprach von mindestens vier Spielern; Ralf Rangnick nannte letztens sogar die Zahl von fünf Akteuren, die in einen Angriff eingebunden sein müssen, wenn dieser gefährlich werden soll. Sonst fehlt es an allem, was einen Angriff zu einem solchen macht: an Breite (um die Abwehr des Kontrahenten auseinanderzuziehen), an Anspielstationen, und an der Möglichkeit, Überzahlsituationen zu erzeugen. Dies führt zu Verzweiflungsflanken auf den einen zentralen Stürmer, der in der Regel von mehreren Gegenspielern abgedeckt und somit chancenlos ist, mit so einem Ball etwas anzufangen. Wenigstens wurde in Osnabrück konsequent versucht, Ballverluste im Vorwärtsgang zu vermeiden. So wurde, wenn keine Passoption verblieb, einfach aufs Tor geschossen. Meist aus recht aussichtsloser Lage. Aber selbst diese Vermeidung von Ballverlusten muss man ambivalent bewerten, denn sie führte auch dazu, dass nur selten schnell und direkt gespielt wurde. Was wiederum eigentlich die einzige Option darstellt, eine Unterzahlsituation erfolgreich aufzulösen.

Wie gehabt: Taktische und individuelle Fehler im Abwehrverhalten

Über all das müsste man nicht so viele Worte verlieren, wenn die eigentliche Intention einer defensiven Spielweise erfüllt worden wäre: Vermeidung von gegnerischen Großchancen. Aber bereits vor dem Führungstor und der Herausstellung von Oumari hatte der VfL einige gute Einschussmöglichkeiten, danach sowieso.

Zwei exemplarische Szenen, die das derzeitige Dilemma verdeutlichen: Das zentrale Mittelfeld attackiert im Gegenpressing einen VfL-Spieler in Höhe des Mittelkreises, bekommt aber keinen Zugriff auf ihn und kann auch den einfachen Pass in den dahinter liegenden Raum nicht unterbinden. Eine Szene aus der Taktikhölle, weil beide Sechser sofort aus dem Spiel sind. Manno kann den Ball in aller Ruhe kontrollieren, sich orientieren und mit einem Torschuss abschließen (1. Halbzeit). Szene zwei: Vor dem Pfostenschuss von Nagy trabt Bernd Rauw schattenhaft neben diesem her und wirkt dabei wie die Karikatur eines Verteidigers.

Diese unselige Verquickung von taktischen Unfertigkeiten und individuellem Larifari war leider auch in Osnabrück das größte Manko des RWE. Wie konzentriertes Defensivspiel aussehen kann, konnte man sich im Livestream des mdr am Sonntag bei Hansa gegen den CFC ansehen. In der 2. Halbzeit bekamen beide Mannschaften nach vorne kaum etwas auf die Reihe, trotzdem war der CFC die überlegene Mannschaft – mit gefühlten 80 Prozent Ballbesitz. Wer Fan der Chemnitzer ist, konnte sich die Sache relativ entspannt betrachten, denn eines war klar: hinten stand der CFC so ungemein stabil – Hansa hätte bis zur Wiederauferstehung Störtebekers spielen können und trotzdem kein Tor erzielt. Von dieser defensiven Grundsicherheit ist der RWE derzeit ganze Fußballuniversen entfernt, und das trotz einer auf die Abwehr hin konzipierten Spielweise.

Was tun?

Kein vernunftbegabter Trainer, dessen Mannschaft nach fünf Spieltagen Tabellenletzter ist, würde eine Mitschuld an dieser Situation leugnen. Das tut auch Stefan Emmerling im heutigen Interview der Thüringer Allgemeinen nicht. Alles, was er darin sagt ist richtig. Alles, bis auf eines. Die Verpflichtung eines Stürmers „der aus dem Nichts Tore schießen kann“, wird wohl ein Traum bleiben. Keine Ahnung, wer ihm da vorschwebt. Zlatan Ibrahimović? Abgesehen von diesem Kaliber (aber im Grunde natürlich auch dort), sind Mittelstürmer auf die Zuarbeit ihrer Mitspieler angewiesen. Was nicht bedeutet, dass ein Stürmer nicht auch mal aus einer Einzelaktion heraus unvermittelt ein Tor schießt. Allerdings ist dies die Ausnahme, quasi Sahnehäubchen auf Torte. Ansonsten gilt (und es gilt umso mehr, je höher die Qualität der Liga ist): Stürmer sind das letzte Glied einer komplizierten Produktionskette namens Fußball. Sie sehen halt immer nur sehr dumm aus, wenn sie mit leeren Händen die Fabrikhalle verlassen. Schuld an der Misere sind jedoch meist andere.

Deshalb sehe ich das Problem des RWE vordergründig nicht im Sturm. Sollte Rolf Rombach noch einmal Zugriff auf die Schatulle eines Sponsors erhalten, würde ich eher einen lauf- und zweikampfstarken defensiven Mittelfeldspieler holen. Typ: Bender-Zwillinge, Luiz Gustavo. Einen Staubsauger vor der Abwehr, der zum einen diese entlastet und zum anderen den Kreativspielern mehr Sicherheit (sprich Absicherung) gibt. Außerdem ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, das nominelle 4-4-2 wenigstens zu hinterfragen. Im Grunde handelte es sich immer schon um ein 4-4-1-1, weil so gut wie nie zwei Stürmer im Strafraum auf ein Zuspiel warten. Morabit war bereits in der letzten Saison der freie Radikale hinter der Spitze (Reichwein). Um mehr Breite der Angriffe sicherzustellen, würde ich ihn und Drexler konsequent auf den Flügeln positionieren. (In der Grundordnung wohlgemerkt, denn natürlich sollen sie rochieren und Überzahlsituationen auf den Flügeln und im Zentrum schaffen). Dann wäre Platz für Möhwald im zentralen offensiven Mittelfeld – hier liegt ohnehin seine größte Stärke. Im Sturmzentrum wäre Tunjic meine erste Wahl. Auf den Sechserpositionen: Pfingsten-Reddig für den Spielaufbau aus der Abwehr und – wie erwähnt – ein in erster Linie defensiv denkender und agierender Mittelfeldspieler. Wir hätten dann ein 4-2-3-1-System, von dem ich mir vor allem mehr Präsenz (aber auch Qualität) in der spielentscheidenden Zone verspreche. Zudem würde unser momentan lebloses Flügelspiel reanimiert. Mit dem derzeitigen Personal wäre das irgendwie auch abbildbar, jedoch halt nur irgendwie. Für Trial and Error geht uns aber langsam die Zeit aus. Ich sehe derzeit keinen Spieler im Kader, der diese zentrale defensive Aufgabe übernehmen könnte.

Viel Arbeit auf und neben dem Platz für Stefan Emmerling, seine Co-Trainer und vor allem für die Spieler. Die Mannschaft gleicht momentan einer Großbaustelle. Berliner Flughafen nichts dagegen. Ich sehe es positiv, dass jetzt zwei Wochen bis zum nächsten Ligaspiel gegen die Arminia bleiben. Vorbereitung 2.0, sozusagen. Vielleicht beginnt ja dann – mit fünf Spielen Verspätung – die Saison des FC Rot-Weiß Erfurt.

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