Archiv für November 28, 2011

RWE – Chemnitz 0:0 / Emmerling – Schädlich 0:1

So kopflos wie eine abgelegte Mütze: das Spiel des RWE

Am Ambiente lag es nicht. Freitagabend, Flutlicht, fast 10.000 Zuschauer. Großartige Stimmung im Steigerwaldstadion. Auch wenn die Choreo der Haupttribüne nicht völlig gelungen war und von den Ultras unseres geliebten mitteldeutschen Kuschelsenders die mediale Weiterverbreitung verweigert wurde. 1500 glänzend aufgelegte Chemnitzer Fans hatten ihren Anteil an einem atmosphärisch gelungenen Abend. Beide Fanlager traten überdies den Beweis an, dass ein Spiel zweier Traditionsmannschaften, die auf eine lange Fußballrivalität zurückblicken, nicht automatisch von Gewalt begleitet sein muss. Leider konnte das Geschehen auf dem Feld dem äußeren Rahmen nicht ansatzweise gerecht werden. Das lag in erster Linie am platzbauenden Verein, dem FC Rot-Weiß Erfurt.

Der Mann mit der Mütze (siehe oben), seit nunmehr 31 Jahren mein Begleiter bei den Heimspielen des RWE, bemerkte es als erster: Nils Pfingsten-Reddig nur auf den Bank. Ungläubiger Blickkontakt, begleitet von hochgezogenen Augenbrauen meinerseits. Never change a winning team, sagte der Mann mit der Mütze. Es sei denn du kannst es stärker machen, grummelte es in mir. Für drei Punkte hätte ich gerne darauf verzichtet, meine Skepsis durch den weiteren Fortgang der Dinge bestätigt zu finden.

Es begann schon anders als erwartet: Der RWE zögerlich, zaghaft, zaudernd. Angsthasenfußball. Nichts zu spüren vom Selbstbewusstsein, den ein herausragend erspielter Auswärtssieg eigentlich zur Folge haben sollte. Der CFC (mit den Ex-Erfurtern Sträßer und Stenzel) begriff schnell, das hier vielleicht mehr zu holen sein könnte, als ein mittels taktischer Disziplin ergurktes Unentschieden. Und hatte die ersten Möglichkeiten des Spiels. Über das gesamte Spiel hinweg, waren die Chemnitzer Torchancen von etwas höherer Qualität als die des RWE. Hundertprozentige, klar herauskombinierte Möglichkeiten gab es jedoch auf beiden Seiten nicht. Wenn es so was überhaupt gibt, dann haben wir am Freitagabend ein typisches Null-zu-Null-Spiel gesehen durchlitten.

Der einzige Erfurter Spieler der – für diese Abend – mit dem Hauptwort Tormöglichkeit in ein und demselben Satz vorkam, war Gaetano Manno. Der Deutsch-Italiener und freie Radikale des RWE-Angriffs rackerte wie ein Berserker und lief so unermüdlich wie ein Duracellhase. Allerdings bin ich sicher, dass das taktisch so nicht geplant war und Manno viel mehr seine Position auf der rechten Seite halten sollte. Er veränderte diese taktische Vorgabe wohl deshalb, weil ihm relativ schnell klar war, dass er dort keine verwertbaren Zuspiele erhalten würde. Und wollte auf diese Weise dem Schicksal Drexlers, auf der anderen Seite, entgehen. Was wiederum das Problem nach sich zog, dass der RWE mit drei Mittelstürmern agierte, damit allerdings das Mittelfeld den Chemnitzern überließ.

Es wäre vermessen, wenn ich jetzt behaupten würde, dass wir mit Nils Pfingsten-Reddig besser gespielt oder gar gewonnen hätten. Aber das Spiel in Unterhaching hat gezeigt, welche gravierenden Folgen taktische Änderungen haben können. Um eines vorweg zu sagen: Danso Weidlich war ganz klar einer des besseren Spieler des RWE an diesem Abend. Jedoch, meiner bescheidenen Meinung nach: er ist kein Sechser. Zu seinen Vorzügen zählen eine unglaublich starke Physis und die Fähigkeit auch mal zwei oder drei Spieler auf dem Weg nach vorn stehen zu lassen. In seiner Spielweise durchaus an Lúcio erinnernd. Jedoch liegt hier auch ein Problem. Auf den Außenbahnen, das hat Danso oft genug bewiesen, kann dies ein taktisches Mittel sein, eine Abwehr in Verlegenheit zu bringen. Im hochkritischen, verdichteten Mittelfeldzentrum hingegen, sind lange Sturmläufe mit dem Ball am Fuß ungeeignet zur Spieleröffnung. Zu hoch das Risiko eines Ballverlustes, zudem ist es leicht ausrechenbar und – im massiv besetzten zentralen Mittelfeld – gut zu unterbinden.

Spielertypen wie Pfingsten-Reddig sind im heutigen Fußball so einer Art Passroboter. Mit hoher Präzision sollen sie das Spiel aus der Abwehr eröffnen, am besten mit Raumgewinn, also vertikal oder diagonal nach vorn. Zweikämpfe sind eher zu vermeiden, denn die kann man leicht verlieren. Was – so nahe am eigenen Strafraum – fast zwangsläufig zu Tormöglichkeiten des Gegners führt. Bei der Bewertung von Weidlichs Leistung muss fairerweise berücksichtigt werden, dass er auf dieser Position über keine nennenswerte Erfahrung verfügt. 45 Minuten in einem Auswärtsspiel zählen da nicht wirklich.

Zu Beginn der Begegnung spielten sie es taktisch wie gehabt (nur halt ohne Pfingsten): Weidlich war der erste Adressat für die Innenverteidiger, Zedi agierte recht deutlich davor. Aber es funktionierte nicht. Weder gab es Zuspiele in die Mitte (auf Zedi, oder einen der Stürmer) noch konnten die Außen ins Spiel eingebunden werden. Dann versuchte sich Zedi, das Dilemma erkennend, für ein paar Minuten in der Spieleröffnung (ohnehin nicht seine Stärke) – und ebenfalls mit überschaubarem Erfolg. Anschließend passten sich die Verteidiger über weite Strecken der Partie den Ball gegenseitig zu, siebzig Meter vom Chemnitzer Tor entfernt. Ratlosigkeit machte sich breit, die bis zum Ende anhielt. Sicher, ein paar Mal schleppte Danso den Ball gefällig durch Mittelfeld, aber außer einer Ecke sprang dabei nicht viel heraus. Unmittelbare wie mittelbare Torgefahr – Fehlanzeige.

Ein Verdienst von Gerd Schädlich. Der Großmeister des ostsächsischen Catenaccio verzichtete auf offensives Pressing und nutzte die so gewonnen Ressourcen zur Doppelung der Außenpositionen und einem gut organisierten Zustellen der zentralen vertikalen Passwege. Diese simplen taktischen Mittel genügten, um dem RWE die Luft abzuwürgen. Läuferisch, kämpferisch und konditionell sind Mannschaften die von Gerd Schädlich trainiert werden sowieso stets vorn dabei. Allein mit kämpferischen Mitteln ist ihnen nicht beizukommen.

Im Gegensatz zum Sieg in Unterhaching fehlte unserem Trainer der Mut zu gravierenden Korrekturen. Um an der weitgehenden Agonie des Angriffspiels etwas zu ändern, wäre das dringend geboten gewesen. Die Wechsel die er vornahm blieben mir ein Rätsel. Das Lächeln der Mona Lisa nichts dagegen. Das Duell der Trainer ging an diesem Abend an den knurrig-sympathischen Sachsen Schädlich. Nun ja, zum Trost sei Stefan Emmerling zugerufen: man kann den Kollegen halt nicht immer so düpieren, wie das von einer Woche gegen Heiko Herrlich herrlich gelang. Trotzdem – man hätte es wenigstens versuchen können.

Bei aller Kritik: wir haben nicht verloren. Die Chemnitzer verteidigten gut, der RWE ebenfalls. Der CFC versuchte die spielerische Verunsicherung der Erfurter zu nutzen, das gelang zum Glück nur in Maßen. Zudem erwischte Tom Bertram einen prima Tag und war an diesem Abend bester Erfurter Spieler. Am Boden und in der Luft kaum zu überwinden. Das trifft – bis auf einen Fehler – ebenso auf Oumari zu. Nur zwei Gegentore in den letzen sechs Spielen sind beredtes Zeugnis einer Stabilisierung der Defensive auf hohem Niveau.

Der Mann mit der Mütze sagte nach dem Spiel dasselbe, was er bereits nach den letzten Unentschieden gesagt hatte: Was soll’s, dann werden wir halt auswärts gewinnen. Sollte das wieder eintreffen, werde ich ihn beim nächsten Heimspiel Nostradamus nennen.

Unterhaching – RWE 1:3 / Schöne Aussichten

Alles schien wie immer zu laufen, wenn der RWE im Münchner Vorort Unterhaching antritt. Nach dem schnellen Rückstand waren alle Vorgaben des Trainers die Kreide nicht mehr wert mit der sie die Taktiktafel zierten. Schier unbegreiflich, dass die Hachinger ein halbes Dutzend bester Möglichkeiten in Halbzeit eins nicht nutzten. Unbegreiflich, aber gut. Für uns. Das Spiel seiner Mannschaft in den ersten 45 Minuten anzusehen, muss ein Grauen für Stefan Emmerling gewesen sein. Denn eine mikrotaktische Änderung kann man die Einwechslung von Gaetano Manno, vor allem aber die damit verbundenen Konsequenzen, kaum nennen. Ich will nicht sagen, dass Emmerling Vabanque spielte; sehr, sehr riskant war es in jedem Fall. Am Ende stand ein überragender Sieg, erspielt innerhalb der besten 45 Minuten Fußball, die der RWE in dieser Saison ablieferte.

Die Aufstellung Baumgartens in der Startformation war durchaus eine kleine Überraschung. Doch vielleicht hatte die Vorstellung Rauws in Gotha, der beim Pokalspiel die freie Sechser-Position probeweise innehatte, Emmerling ebenso wenig überzeugt wie mich. Hinzu kam, dass auch Ofosu-Ayeh nicht wirklich überzeugen konnte, so dass es nicht ratsam schien die Baustelle auf der rechten Abwehrseite mit ihm zu verschlimmbessern. Hinten blieb – während des gesamten Spiels – alles wie gehabt (wenn niemand verletzt oder gesperrt ist): Sponsel im Tor, Oumari und Bertram in der Innenverteidigung, Rauw auf rechts und Caillas links. Ich sehe gerade bei kicker.de, dass alle Spieler unserer Viererkette die Note 3 für ihre Leistung bekommen haben. Das lass ich mal so stehen. Nein, das kann ich nicht so stehen lassen. Eingedenk der Tatsache, dass wir, wenn alles normal läuft, mit einem 0:3 (oder höher) in die Kabine gehen, können sie mit dieser Benotung des Fachmagazins zufrieden sein.

Im Mittelfeld ersetzte Baumgarten Pfingsten-Reddig, vielmehr: er hätte ihn ersetzen sollen. Das ist keine Schelte an unserem Nachwuchstalent. Der Konjunktiv begründet sich in erster Linie durch meine immens stabile Meinung, dass Nils Pfingsten-Reddig derzeit durch keinen anderen Spieler dieser Mannschaft adäquat zu ersetzen ist. Seine Spielintelligenz, seine Sicherheit bei der Spieleröffnung, sein Gespür für freie Räume sind unverzichtbar. Genauso wie die Entschlossenheit eines Rudi Zedi hinsichtlich der Unterstützung von Angriffsaktionen.

Mit Beginn der zweiten Halbzeit kam Manno für Baumgarten. Weidlich nahm dessen Position im defensiven Mittelfeld ein, Manno wiederum spielte auf rechts. Seinem Temperament, seiner Ausbildung und der Intention seines Trainers gemäß, agierte er deutlich offensiver als Weidlich, so dass der RWE bei eigenen Angriffen mit vier Stürmern die Hachinger Defensive bedrängte. Die zeigte sich dieser Aufgabe nicht gewachsen und wurde in den 20 Minuten nach der Pause in Grund und Boden gespielt. Bevor der Trainer der Hachinger (Heiko Herrlich) so recht fassen konnte was da geschah, stand es 3:1 für den RWE und die Messe war gelesen.

Wir führen an dieser Stelle – und für genau einen Spieltag – mal die Rubrik Mann des Tages ein. Vor allem deshalb, weil es mir die Gelegenheit gibt, ein paar nette Sachen über einige Protagonisten des RWE zu verlieren:

Kandidat 1: Andreas Sponsel. Wie schon in Saarbrücken (bei seinem Debüt) ein Garant des Erfolges. Allein die Parade gegen den heranstürmenden Avdic war gleichermaßen gekonnt wie überlebensnotwendig. Das zweite Tor für die Hachinger wäre – sehr wahrscheinlich – das Ende aller Hoffnungen gewesen. Allerdings hatte er Hilfe, durch:

Kandidat 2: Olivier Caillas. Der Deutsch-Franzose würde vermutlich auf Jahre hinaus jede Umfrage der dritten Liga nach dem unbeliebtesten Spieler gewinnen. Egal ob man Zuschauer, oder Spieler der anderen Mannschaften fragt. Ich finde ihn großartig. Unser Agent Provocateure lief Avdic zwar 20 Meter hinterher, als dieser allein auf Sponsel zusteuerte, gestikulierte aber wild und zeigte seinem Keeper an, in welche Ecke der Hachinger Angreifer schießen würde (nach rechts). Und lag völlig richtig damit. Das habe ich so auch noch nie gesehen. Sensationelle Szene.

Kandidat 3: Denis-Danso Weidlich. Bereits in der letzten Saison zählte Danso zu den Leistungsträgern der Mannschaft. Robuste Physis, gute Technik, vor allem aber seine Durchsetzungsfähigkeit im eins gegen eins gehören zu seinen Trümpfen. Sein taktisches Verständnis ließ bisweilen zu wünschen übrig. Daran haben Spieler und Trainer gearbeitet, jedenfalls bot Danso auf der anspruchsvollen zentralen Mittelfeldposition (in Halbzeit zwei) eine großartige Leistung.

Kandidat 4: Gaetano Manno. Ich bin sowieso ein Fan des Italieners. Zugegeben, nicht all seine Spiele für den RWE waren so beeindruckend wie jenes am Freitag. Dies mag aber auch daran liegen, dass es schwierig für ihn war (vielleicht noch ist), seine Rolle in der Mannschaft zu finden. Ständig zwischen Bank, Angriff, rechtem Mittelfeld und dem Hemingway changierend, hätte wohl jeder ein Problem ständig optimale Leistungen abzurufen. Eines konnte man ihm allerdings nie absprechen: Einsatzwillen und Laufbereitschaft. Emmerling hat mit ihm den Sieg eingewechselt.

Kandidat 5: Marcel Reichwein. Der viel gescholtene Stürmer klausfischerte mit einem Traumtreffer die Führung. Mehr muss man nicht sagen. Just enjoy it.

Kandidat 6: Dominick Drechsler. Hat diese Saison bereits das ein oder andere gute Spiel gezeigt. Es fehlte die Konstanz. Für einen 21jährigen ist das eher normal. Was für fast alle offensiven Spieler des RWE zutrifft, gilt ganz besonders für ihn: Arbeitet viel nach hinten, hat große Stärken im offensiven eins gegen eins und spielt äußerst mannschaftsdienlich; meistens mit dem Blick für den besser positionierten Mitspieler. Wenn es bei ihm so läuft wie am Freitag, ist er ein Albtraum für jede Verteidigung.

So, jetzt habe ich bereits die halbe Mannschaft aufgelistet und bin doch noch nicht am Ende. Einer fehlt noch, nämlich:

Kandidat 7: Stefan Emmerling. Hat alles gewagt und gewonnen. Wer diesen Blog halbwegs regelmäßig liest, dem wird nicht entgangen sein, dass ich große Stücke auf unseren Trainer halte. Deshalb gönne ich ihm von ganzem Herzen den Triumph, mit seinem Willen zum Risiko den entscheidenden Akzent zum Sieg gesetzt zu haben. Wohl wissend, dass dies am kommenden Freitag schon (fast) niemand mehr weiß, sollten wir gegen Chemnitz nicht gewinnen.

Das Benennen so vieler Kandidaten für den Mann des Tages macht deutlich: ein Sieg hat zumeist viele Väter, was in diesem Fall überhaupt nicht ironisch gemeint ist. Eine völlig unvermutete und deshalb umso eindrucksvollere Steigerung der gesamten Mannschaft war letztendlich ausschlaggebend für diese enorm wichtigen drei Punkte. In den letzten sechs Spielen wurde exakt der „Aufstiegsdurchschnitt“ von 2 Punkten pro Spiel erreicht. Nach drei Auswärtssiegen in Folge hätte niemand etwas dagegen, das arithmetische Mittel gegen formschwache Chemnitzer weiter anzuheben. Jeder weiß jedoch: angeschlagene Boxer sind am gefährlichsten.

RB Leipzig, der T-1000 des deutschen Fußballs: Nicht zu stoppen.

Nach einem Beitrag des verehrten Kollegen rotebrauseblogger, wurde in seinem Blog tagelang über eine Interview-Äußerung des Präsidenten von Union Berlin, Dirk Zingler, diskutiert.

Es kann vielleicht nicht schaden, meine Grundhaltung zu den beiden Klubs Union Berlin und RB Leipzig kurz zusammenzufassen: Für den Verein Union Berlin hege ich eine tiefe Sympathie, die mit der Entwicklung, die Union in den letzten Jahren genommen hat (unter der gedeihlichen Präsidentschaft von Dirk Zingler), eher noch zugenommen hat. Das Projekt RB Leipzig verfolge ich mit Interesse. Einem etwas klinischen Interesse, zugegeben.

Zunächst denke ich, dass Dirk Zingler mit seiner Analyse einfach nur Recht hat. Dietrich Mateschitz wird sich in Leipzig einen Verein nach seinem Gusto erschaffen. Eine Firma wie Red Bull, die auf dem Gebiet des Sportmarketing derart revolutionär agiert, kann sich das größte und aufregendste Karussell auf dem Rummelplatz nicht dauerhaft entgehen lassen. Und das ist nun mal der Fußball.

Im weiteren Fortgang der Dinge nutzte Dirk Zingler seine Analyse dafür, die eigenen Reihen geschlossen zu halten (siehe Anzeige). Außerdem hat der Union-Präsident etwas zu verkaufen und wie jeder Verkäufer glaubt er daran, dass Emotionen ein guter Katalysator für Kaufreize sind. Mit der Einführung der zerquetschten Red-Bull-Dose nimmt das alles eine neue, unangenehme Richtung. Ab hier riecht es nach Kriegsanleihe. Ein Feind wird benannt. Klar, Red Bull drängt sich als Public Enemy fast unwiderstehlich auf. Der Union-Präsident weiß auch, dass Worte das eine und Bilder noch einmal etwas völlig anderes sind. Die verwendete Ikonographie der zertretenen Red-Bull-Dose lässt allerdings ahnen, welche Richtung die Auseinandersetzungen in den nächsten Jahren nehmen werden. Irgendwann werden in diesem Konflikt keine Gefangenen mehr gemacht. Die zerquetschte Dose ist eine schlechte Idee. Besser wäre gewesen, was eigentlich immer besser ist: Ironie. Die wiederum ist nur sehr begrenzt emotionalisierbar. Deshalb glaube ich, dass man sich sehr bewusst gegen sie und für Emotionen entschieden hat – und halte das für ein Verhängnis.

Unabhängig von der gefühlsbedürftigen Verkaufskampagne der Unioner: Es ist zweifelhaft, ob Red Bull der richtige Adressat für den ganzen Unmut ist. Die Firma tut, was ihr im Rahmen der Verbandsregularien erlaubt ist. Das ist legitim. Im Gegenteil: Sie sucht sich einen fußballhistorischen Traditionsort wie Leipzig, mietet eine Arena – die sonst Gefahr gelaufen wäre zur Investruine zu verkommen, und bietet einer immer größeren Anzahl von Fans, was sie vermissen: guten Fußball, sowie die Aussicht auf noch besseren Fußball.

Das Dilemma: die faktisch unbegrenzt vorhandenen monetären Mittel von Red Bull, annullieren die Chancengleichheit des Wettbewerbs. Am deutlichsten wird das gerade jetzt und in näherer Zukunft, in der sich RB Leipzig gegen notorisch klamme Mitbewerber behaupten muss. Selbst für klug agierende Vereine wie Aue, Cottbus, Union und Rostock kann eine falsche Entscheidung, ein unpassender Trainer, ein paar unglückliche Transfers, ein unbedachter Vertrag, Abstieg, Absturz und sogar Ruin bedeuten. Nicht so für RB Leipzig. In dieser Hinsicht dem Terminator gleich, ist RB Leipzig in der Lage sich ständig neu zu materialisieren. Und wird das – auf dem Weg nach oben – wieder und wieder tun. Rückschläge, Fehleinkäufe und Managementfehler werden nicht ausbleiben, sie sind halt nur folgenlos. Über die Entschlossenheit des Dietrich Mateschitz mit RB Leipzig ganz nach oben zu kommen, sollte sich niemand Illusionen machen. Rückblickend wird das so aussehen, als ob Haile Gebrselassie einen Pulk keuchender Hobbyläufer stehen lässt.

Jetzt könnte man auf die Idee kommen und mit den Fingern beispielsweise auf Bayern München deuten: Die haben doch auch so viel mehr Kohle als allen anderen. Stimmt. Es ist aber ein Unterschied, ob sich Ungleichheiten sukzessive entwickelt haben, oder ob sie (wie bei RB Leipzig) praktisch der einzige Treibstoff auf dem Weg nach oben sind. Problematisch ist dennoch beides. Auch durch gute Arbeit redlich erworbene Vorteile, können langweilige Wettbewerbe zur Folge haben. Eine Lösung hierfür sehe ich nicht. Wegen offensichtlicher Undurchführbarkeit scheidet die komplexe, aber hochwirksame Methode des US-Profisports, das 1935 eingeführte Draft-System, aus. Über ein ähnliches Regelsystem zur Vermeidung dauerhafter sportlicher Ungleichheiten verfügt der Fußball nicht. Hat er noch nie. Geld schoss schon immer Tore, egal woher es kam.

Der DFB jedenfalls wird das Projekt RB Leipzig nicht stoppen. Das ist nämlich – ab einem gewissen Zeitpunkt – keine juristische Frage mehr. RB schafft Fakten. Die Zuschauerzahlen bewegen sich eindrucksvoll nach oben (zuweilen freikartenanimiert). Offensichtlich wird das Projekt RB Leipzig angenommen und hat mithin mehr erreicht als der DFB in den 20 Jahren zuvor. Da wurde endlos viel über das Fußballpotential der Stadt gelabert, in der sich der DFB vor 111 Jahren gründete. In erster Linie aber wurde geklagt, dass diese Potentiale – aus vielerlei Gründen – degeneriert danieder liegen. Wie von Red Bull geplant, hat die Gründung von RB Leipzig diese Situation grundlegend geändert. Sicher, niemals werden die Anhänger der Leipziger Traditionsvereine ihren Frieden mit diesem neureichen Beau machen. Verständlich. Allein: das spielt keine nennenswerte Rolle. Stadt und Umland sind groß genug, die WM-Arena stimmungsvoll zu befüllen. Einem Torschrei hört man eben nicht an, ob er aus der Kehle eines Traditions- oder Eventfans stammt. Mit welcher Legitimation will der DFB diesen Leipziger Honeymoon beenden? Es mag sein, dass Red Bull formale Zugeständnisse bei der Konstruktion des Clubs wird machen müssen. Allerdings ist dies reiner Theaterdonner.

Vermutlich in der nächsten Saison wird Rot-Weiß Erfurt in der 3.Liga auf RB Leipzig treffen. Vielleicht werden wir sie besiegen. Aufhalten werden wir sie nicht.

Wacker Gotha – RWE 1:3 / Gezittert nur der Kälte wegen

Habichhorst macht den Zidane. Nur schlimmer. / Foto: © mdr

Rudi Zedi hat sich am Samstag um meine körperliche Unversehrtheit verdient gemacht. Sein Tor in der 86. Minute bewahrte meine Füße vor der Amputation und den RWE vor einer Verlängerung. Während meine Schuhwahl leichtsinnig war, konnte man dies von Auf- und Einstellung des RWE nicht behaupten.

Dennoch galt im Gothaer Volksparkstadion der Satz Johann Cruyffs: Die können gegen uns nicht gewinnen, aber wir können gegen sie verlieren. Deshalb mied Stefan Emmerling jedes Risiko und bot seine erste Elf auf (mit Ausnahme Zedis, der sich unter der Woche einer Zahn-OP unterziehen musste und zunächst auf der Bank saß). Das gab Emmerling die Chance für ein personelles Experiment: Rauw spielte an der Seite von Pfingsten-Reddig im defensiven Mittelfeld, dafür kam Ofosu-Ayeh auf der rechten Seite der Viererkette zum Einsatz. So könnte es auch in Unterhaching aussehen, nur dass dort Pfingsten-Reddig fehlen wird. Ich will mich nicht des unentwegten Rauw-Bashings schuldig machen, aber soviel sei erlaubt: er konnte Zedi nicht adäquat ersetzen. Ich habe meine Zweifel, ob der Belgier für diese Position schnell genug ist, seine Formkurve in den letzten Wochen zeigt ebenfalls nach Süden. Nachdem was ich in Gotha gesehen habe, wäre ich eher für einen Einsatz von Humbert. Oder – allerdings sehr unwahrscheinlich – Maik Baumgarten bekommt eine Chance. Selbstvertrauen sollte er nach den letzten Erfolgen der A-Junioren ausreichend haben. Und seien wir ehrlich: viel verlieren können wir in Unterhaching nicht.

Noch größere Sorgen bereitet mir die rechte Abwehrseite. Man kann nicht mal behaupten, dass Ofosu-Ayeh schlecht gespielt hat. Er hat keinen großen Fehler gemacht, was allerdings gegen die harmlosen Wacker-Amateure kein besonderes Verdienst war. Sein Hauptproblem heißt: Hektik. In die verfällt er allzu häufig, wenn es eng und schnell wird. Im Gegensatz zum Samstag, sind derartige Spielsituationen in der 3.Liga aber die Regel. Derzeit nur bedingt drittligareif.

Es mag jetzt überraschen, aber abgesehen von diesen Beobachtungen, hatte ich am Auftritt des RWE nicht so viel auszusetzen. Die Konstellation ist ja geläufig: ein bis in die Haarverlängerungen hinein motivierter Außenseiter, trifft auf ein höherklassiges Team, das wenig gewinnen, jedoch alles verlieren kann. So sah das dann auch aus, wobei ich nicht eine Sekunde lang zweifelte, wer den Platz als Sieger verlassen wird. Gezittert habe ich nur wegen der Kälte. Der RWE war in allen Belangen überlegen: technisch, taktisch, läuferisch. Woran es mangelte war die letzte Entschlossenheit und Konzentration, um aus dieser Überlegenheit Zählbares zu machen. Bis dann Rudi Zedi, Mister Entschlossenheit himself, seinen Mitspielern in dieser Königsdisziplin des Fußballs eine Lektion erteilte. Wobei es zweifellos kein Nachteil war, dass Wacker zu diesem Zeitpunkt nur noch mit neun Spielern auf dem Platz stand.

Dabei könnte man es belassen, wäre da nicht diese unglaubliche Szene, in der der Gothaer Spieler Michael Habichhorst dem Schiedsrichter in Martial-Arts-Manier seinen Kopf gegen den Brustkorb rammt. Im höherklassigen deutschen Fußball (Definition von höherklassig: das Spiel wurde im Fernsehen gezeigt) ist mir eine ähnliche Szene nicht geläufig. Der Thüringer Fußballverband steht jetzt vor der Aufgabe, dafür eine angemessene Bestrafung auszusprechen. Ich kenne Michael Habichhorst nicht persönlich, und nehme jetzt einfach mal zu seinem Gunsten an, dass er in seinem bisherigen Leben als Fußballer ein tadelloser Sportsmann war. Trotzdem: wie man hier und hier und hier nachlesen kann, nehmen körperliche Angriffe auf Schiedsrichter inzwischen dramatische Ausmaße an. Das rührt an die Grundlagen des Spiels und dies wissen auch die Offiziellen des Verbandes. Michael Habichhorst wird wohl vergebens auf ein gnädiges Urteil hoffen. Für die Bewertung dieser Tätlichkeit spielt es keine Rolle, deshalb sei es nur der Vollständigkeit halber erwähnt: der Schiedsrichter lag bei allen Entscheidungen richtig.

Im RWE-Forum hat jemand Stefan Emmerling aufgefordert, die Mannschaft nach der gestrigen Leistung einem Straftraining zu unterziehen. Ich möchte gar nicht wissen, was derjenige gefordert hätte, wenn das Spiel verloren gegangen wäre. Wie gut, dass unser Trainer – in dem das Auftreten seiner Mannschaft gewiss keinen Endorphinschub auslöste – derartigem populistischen Blödsinn nicht zuneigt.

Am nächsten Wochenende geht es nach Unterhaching und ich hätte nichts dagegen, wenn ich – gegen jede statistische Wahrscheinlichkeit – mal über einen Sieg bei den Oberbayern schreiben könnte.

RWE – OFC 0:0 / Anspruch trifft auf Realität

Es gab Zeiten, da war ich wesentlich öfter auf dem Bieberer Berg als im Steigerwaldstadion. Was in erster Linie daran lag, dass ich einige Jahre im Rhein-Main-Gebiet wohnte und die wirklich wertvollen Menschen dort, Anhänger der Offenbacher Kickers – und eben nicht der Frankfurter Eintracht – sind. Mithin kein Wunder, dass ich für den OFC eine andauernde Sympathie hege, die immer nur suspendiert ist, wenn die Kickers gegen uns antreten.

Beide Klubs haben eine wechselvolle Geschichte, die jeweils mehr Downs als Ups kennt. Und, obwohl beide in den letzten Jahren stabil in der Drittklassigkeit verharren (sie spielen um die Tabellenführerschaft in der ewigen Tabelle der 3.Liga), ist die Sehnsucht nach Aufstieg, Erfolg und Glanz ungebrochen. Das manifestiert sich auch äußerlich: in Offenbach ist das neue Stadion fast fertig, in Erfurt erwartet man den Baubeginn für nächstes Jahr.

In Erinnerung an bessere Tage, empfinden es die Anhänger beider Klubs als Zumutung gegen Vereine wie Heidenheim, Sandhausen, Wehen, Burghausen oder Aalen überhaupt antreten zu müssen. Nach dem gestrigen Spiel muss man sagen: es wäre leichtsinnig darauf zu wetten, dass sich dies schnell ändert. Dann könnte man auch in Griechenland-Anleihen investieren.

Aus Sicht des RWE war es wie gegen Münster. Nur umgekehrt. Auf eine enttäuschende erste Halbzeit folgte eine nicht eben berauschende, aber deutlich bessere zweite Hälfte. Arie van Lent hatte gut analysiert und sein Team defensiv eingestellt. Sich auf einen offenen Schlagabtausch mit dem RWE einzulassen, schien ihm nicht ratsam. Doch der OFC begann nervös und so boten sich den Erfurtern in den ersten zehn Minuten einige Möglichkeiten. Mit zunehmender Spieldauer stabilisierten sich die Offenbacher, ließen hinten nichts mehr zu und kamen selbst zu gefährlichen Angriffen. Chancenvorteile für den OFC in Halbzeit eins. Das Spiel: unansehnlich und langweilig.

Nach dem Wechsel unternahm der RWE einiges, um eine Fortsetzung der Remis-Serie im eigenen Stadion zu vermeiden. Es wurde mehr riskiert, das Geschehen spielte sich fortan recht einseitig in der Hälfte des OFC ab. Die größte Chance vergab Zedi, als er an Endres aus kurzer Distanz scheiterte. Trotzdem, dem OFC boten sich nun Kontermöglichkeiten, die jedoch ziemlich hibbelig vertan wurden. Bei der größten und kuriosesten, stürmten gleich sechs Offenbacher in Richtung Sponsel und nur dem verzweifelten Einsatz von Thomas Ströhl war es zu danken, dass diese Szene nicht mit einem Tor für den OFC endete. Kurios was die Szene deswegen, weil man eine Unterlegenheit von zwei gegen sechs Spielern im Profifußball nicht so häufig sieht. Emmerling war der Schreck darüber nach dem Spiel anzumerken, jedenfalls war es genau diese Situation, die er im MDR-Interview erinnerte.

Andreas Sponsel spielte fehlerfrei, nur ein Gegentor in vier Spielen, eine Bilanz die sich sehen lässt. Oumari entwickelt sich mehr und mehr zum Abwehrchef. Chef bedeutet in diesem Zusammenhang ausnahmsweise mal, dass da jemand sehr gute Arbeit leistet. Von Bertram konnte man dies nur eingeschränkt behaupten. Die beweglichen Offenbacher Stürmer ließen ihn zwei- bis dreimal nicht gut aussehen und das ist – bei einem Innenverteidiger – zwei- bis dreimal zu viel. Ströhl hatte seine beste Szene bei der oben bereits beschriebenen Überzahlattacke der Offenbacher. Ansonsten liegt seine größte Stärke im offensiven Flügelspiel. Sein größtes Manko war, dass diese Stärke enervierend selten genutzt wurde, was aber nötig gewesen wäre, um das Fehlen von Caillas aufzufangen. Bernd Rauw. Tja. Nach zehn Minuten dachte ich: okay, das sieht ja heute schon deutlich besser aus. Was seine individuelle, körperliche und spieltechnische Verfassung betrifft, würde ich zu dem Urteil – auch das gesamte Spiel einschließend – stehen.

Rätselhaft hingegen, war mir sein taktisches Verhalten, bzw. die taktische Aufgabe, die ihm Emmerling übertragen hatte. Das sich ein Außenverteidiger in die Offensivbemühungen einschaltet, gehört quasi zu seiner Jobbeschreibung. In der Regel tut er dies allerdings auf “seiner” Seite. Bernd Rauw orientierte sich hingegen wiederholt in die Mitte des Spielfeldes, als einer Art dritter Sechser. Das kann man so machen (warum auch immer), allerdings werden die Räume im Mittelfeld dadurch nicht größer, da sich die gegnerischen Abwehrspieler dann auch vermehrt in die Spielmitte orientieren. In jedem Fall muss dies aber gut abgesichert werden. Hier lag das eigentliche Dilemma. Exemplarisch dafür, war eine Szene kurz vor der Halbzeit, als Rauw – mehr im Dauerlauf als im Sprint – bei einem Angriff des OFC zu spät nach hinten kam. Oumari konnte klären, hatte dann aber das unmittelbare Bedürfnis, mit seinem Verteidigerkollegen einige Worte zu wechseln. Ich bin sicher: Bernd Rauw verfügt über die spielerischen Qualitäten im defensiven Mittelfeld eingesetzt zu werden, trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen) wirkte das Ganze auf mich erschreckend unkoordiniert.

Ebenfalls nicht gefallen, hat mir die Defensivleistung der beiden zentralen Defensivspieler. Ihre Stärken im Spielaufbau (Pfingsten-Reddig) und als Ergänzungsstürmer (Zedi) sind unbestritten. Mit den quirligen Kickers-Angreifern hatten sie jedoch auffällige Probleme (vor allem in der ersten Halbzeit) und im eins gegen eins allzu oft das Nachsehen. Glück für uns, dass der OFC diese Vorteile meist nicht in direkte Torgefahr umformen konnte.

Marcel Reichwein bot eine Leistung, die manche (wenige) als unauffällig und andere (viele) als schwach charakterisieren würden. Ich denke, beides stimmt. Unauffällig war er deshalb, weil es den Kickers sehr gut gelang, Anspiele auf ihn möglichst zu unterbinden. Van Lent war offensichtlich klar, dass Reichwein die Schaltstation bei Erfurter Angriffen über die Mitte sein würde. Seine Spieler setzten die Vorgaben ihres Trainers mit großem läuferischen Aufwand und einigem taktischem Geschick um. Deshalb hatte er – für seine Verhältnisse – wenig Ballkontakte. Schwach war seine Leistung, weil er aus den Zuspielen die er bekam, wenig machte. Daher, dies allerdings gleichfalls untypisch für sein Spiel, die hohe Anzahl von Fehlabspielen. Es hatte keinen guten Tag, aber das soll vorkommen im Leben.

Allen negativen Einwänden zum Trotz: ein Sieg des RWE wäre nicht unverdient gewesen. Schon allein auf Grund der deutlichen Steigerung in der zweiten Halbzeit. Kämpferisch war der Mannschaft kein Vorwurf zu machen. Spielerisch blieb sie vieles schuldig. Es wäre aber fast schon überraschend gewesen, wenn der Ausfall von Caillas und Morabit in dieser Hinsicht folgenlos geblieben wäre.

So blieb, aus der Perspektive des RWE-Fans, das eigentliche Highlight dieses Fußballnachmittags ein Bericht des mdr, anlässlich des 20. Jahrestages unseres letzten Auftritts in einem internationalen Wettbewerb. Wir schieden damals in der zweiten Runde des UEFA-Cups, gegen den späteren Sieger Ajax Amsterdam aus. Der junge Trainer der Holländer hieß: Louis van Gaal. Sensationell, wie er seine – mit Stars reichlich bestückte – Mannschaft in der Halbzeitpause (der RWE führte 1:0) zusammenfaltete. Festgehalten wurde dieses schöne Stück Fußballgeschichte von Torsten Ehlert, dem langjährigen Physio des RWE. Großes Kino, Herr Ehlert!


 

Hase, Mäcki, Matze und die anderen

DDR-Fußball taugt heute nicht mal mehr als Antithese. Er ist im Orkus der Geschichte verschwunden. Spurlos. So zumindest scheint es.

Jetzt ist bei Delius Klasing ein Buch erschienen, das zumindest für den Moment die Erinnerungen zurückholt. Die Autoren Christian und Martin Henkel porträtieren 77 Protagonisten des ostdeutschen Fußballs, in der Mehrzahl Spieler, aber auch Trainer und Schiedsrichter. Die Stars des DDR-Fussballs lautet der so nüchterne, wie zutreffende Titel des Bandes.

Zu jedem Porträtierten gibt es einen vergleichsweise kurzen, aber gehaltvollen und spannenden Text, der die charakteristischen Merkmale der jeweiligen Karriere einzufangen sucht: von großen Siegen ist zu lesen, wie von deprimierenden Niederlagen. Auch Abgründe werden dem Leser nicht erspart, so in einem Porträt des hochbegabten Schiedsrichters Adolf Prokop (87 internationale Spiele), der als Mitarbeiter der Staatssicherheit etliche Spiele im Auftrag seines Arbeitgebers manipulierte und aus Angst vor Tumulten gesperrt werden musste.

Jeder Minibiografie ist ein Foto beigefügt – und diese Fotos machen die vielleicht größte Stärke des Buches aus. Sie sind in der Regel eher unspektakulär, korrespondieren aber vorzüglich mit den Texten. Diese gelungene Symbiose von Bild und Artikel kann man gar nicht genug loben.

Ein schönes Beispiel dafür, findet sich bei Rüdiger Schnuphase, der für Erfurt und Jena spielte und bis heute der einzige deutsche Spieler ist, dem es gelang, als Verteidiger Torschützenkönig der höchsten Spielklasse zu werden. Über ihn ist zu lesen: Seine Furchtlosigkeit wurde Schnuphase, der auf nahezu keinem Foto lächelt und dessen melancholischer Gesichtsausdruckhäufig an den eines Boxers mit Außenseiterchancen erinnerte, schließlich zum Verhängnis … (Anmerkung: Schnuphase verletzte sich bei einem Spiel gegen Sparta Rotterdam schwer, woraufhin er seinen Stammplatz in der Nationalmannschaft verlor.)

Wie treffend diese physiognomische Beschreibung ist, kann noch heute auf der Haupttribüne des Erfurter Stadions besichtigt werden, wo Rüdiger Schnuphase bei den Spielen des RWE des Öfteren zu Gast ist.

Das Buch ist in Kapitel unterteilt, die beispielsweise Strategen, Tormaschinen, Abwehrrecken, aber auch Wende-Stars und Staatsflüchtlinge heißen. Am Ende stehen die Besten 12 aus 40 Jahren. Wie quasi alles im Fußball ist diese Kategorisierung, sowie die Auswahl der Spieler, Trainer und Schiedsrichter diskutabel. Als Erfurter vermisst man den großartigen Torwart Horst Weigang, immerhin DDR-Fußballer des Jahres 1965 und Nationalspieler, oder seinen Nachfolger im RWE-Gehäuse, den grandiosen Exzentriker Wolfgang Benkert. Allerdings wird dies allen so gehen, die in der DDR Anhänger eines Oberliga-Vereins waren: Irgendeinen vermisst man immer.

Es ist den Autoren kein Vorwurf zu machen, dass viele Spieler des 1. FC Magdeburg, von Dynamo Dresden, Carl Zeiss Jena, oder des BFC im Buch vertreten sind. Das waren nun einmal die dominierenden Vereine des Ostens; bei ihnen spielte die Mehrzahl der besten Fußballer. Die Auswahl beschränkt sich allerdings keineswegs auf die 60iger bis 80iger Jahre. Es spricht für die Akribie der Verfasser, dass sie das mühselige Eintauchen in die Archive nicht scheuten. So finden sich im Buch ebenfalls die herausragenden Fußballer der Nachkriegszeit, die wie Helmut Nordhaus (in Erfurt) und Dieter Erler (in Chemnitz) ihre Vereine zu Meisterschaften und frühem Ruhm führten.

Der Band erzählt die Geschichten der Helden des DDR-Fußballs. Es ist die Reise in eine versunkene Welt. Durchaus nostalgisch, allerdings ohne Larmoyanz und völlig frei von Ostalgie. Die beiden Autoren überlassen es dem Leser, die 77 Kurzbiografien in ein Gesamtbild zu fügen.

Wir haben mit diesem schönen Buch, was es bisher nicht gab: eine Hall of Fame des Ostfußballs, die manche mit Wehmut, andere mit glänzenden Augen, aber alle mit Gewinn betrachten werden.

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